Seit mehr als 60 Jahren versprechen Forscher eine saubere und erneuerbare Energiequelle: Die Fusionsenergie. Allerdings ist diese Stromquelle noch immer lediglich die “Energie der Zukunft”, anstatt den Strom für die Gegenwart zu liefern. Doch wie funktioniert die Fusionsenergie? Und wieso gibt es sie noch nicht? Wir suchen nach Antworten.
Was ist Fusionsenergie?
Im Grunde genommen ist auch die Fusionsenergie eine Art der Kernkraft, also eine Form der Stromerzeugung, bei der Energie aus nuklearen Prozessen gewonnen wird. Allerdings gibt es einige erhebliche Unterschiede zwischen der Technologie der Kernspaltung, mit der bisherige Atomkraftwerke betrieben werden, und der Technologie der Kernfusion, was die Fusionskraft zu einer Energiequelle macht, die alle Vorteile der klassischen Kernkraft beinhaltet, aber keine der heute bekannten Nachteile, wegen derer die Atomkraft zu Recht in Verruf geraten ist.
Beide Formen der Energiegewinnung basieren auf der Umwandlung von Masse zu Energie, ganz nach der berühmten Einstein-Formel “e=mc²”. Bei der klassischen Atomkraft werden Uran- oder Plutonium-Atome gespalten, daher der Name der Kernspaltung. Die dabei entstehenden zwei kleineren Atome haben allerdings eine geringere Masse als das ursprüngliche Atom. Diese Masse geht jedoch nicht verloren, sondern sie wird direkt als Energie an das Umfeld abgegeben. Bei der Fusionskraft hingegen wird kein Atom gespalten, sondern zwei Wasserstoff-Atome zu einem größeren Helium-Atom verschmolzen. Dabei wird Masse in Energie umgewandelt, denn das Helium-Atom wiegt weniger als zwei Wasserstoff-Atome. Allerdings ist die gewonnene Energie hierbei wesentlich größer als bei der Kernspaltung.
Bevor die zivile Nutzung in Erwägung gezogen wurde, fanden sowohl die Atomkraft 1945 wie auch die Fusionsenergie 1952 ihre ersten Anwendungen in zerstörerischen Massenvernichtungswaffen. Die klassische Kernkraft funktioniert im Prinzip genau so wie eine Atombombe, nämlich durch Kernspaltung. Während dieser Prozess im Atomkraftwerk langsam und kontrolliert abläuft, läuft diese Reaktion bei einer Bombe unkontrolliert ab und löst eine riesige Kettenreaktion aus, die eine gewaltige Explosion verursacht. Wenn die Kernkraft der Atombombe entspricht, dann entspricht die Fusionsenergie der Wasserstoffbombe und basiert wie diese auf der Kernfusion. Doch wieso konnte schon im Jahr 1954 - ungefähr neun Jahre nach der Zündung der ersten Atombombe - das erste Atomkraftwerk ans Netz gehen, während die Menschheit mehr als 65 Jahre nach der Explosion der ersten Wasserstoffbombe immer noch auf das erste Fusionskraftwerk wartet? Kurz gesagt: Aufgrund von technischen Schwierigkeiten.
Wo bleibt das Fusionskraftwerk?
Die Gesetze der Physik besagen, dass die Kernfusion nur unter sehr extremen Bedingungen stattfinden kann, nämlich entweder unter sehr hohem Druck oder bei sehr hohen Temperaturen. Was versteht man hier unter sehr hohen Temperaturen? Um die 100 Millionen Grad Celsius. Zum Vergleich: Im Zentrum der Sonne herrschen “nur” 15 Millionen Grad, dort kann die Kernfusion aber dank immens hohem Druck ablaufen (mehr als 250 Milliarden Bar). Die Konstrukteure der Wasserstoffbombe lösten dieses Temperaturproblem indem sie zur Zündung der Kernfusion mal eben eine weitere Atombombe benutzten, die kurzzeitig eine solche höllische Hitze erzeugen kann. Für den zivilen Nutzen ist diese unkontrollierte Zündungsmethode aber unbrauchbar. Zudem gibt es kein Material, dass beim Kontakt mit einer solchen Hitze nicht sofort verdampfen würde.
Ist ein Fusionskraftwerk also unmöglich? Nicht, wenn es nach den Forschern vom Massachusetts Institute of Technology in Boston geht. Mit Hilfe von Supermagneten wollen sie in einer Donut-förmigen Röhre ein Wasserstoff-Gemisch auf die notwendige Temperatur erhitzen und in der Schwebe halten, sodass die Kernfusion erfolgreich gezündet und erhalten werden kann. Gelingt dieser Versuch, könnten schon in 15 Jahren die ersten Fusionskraftwerke ans Stromnetz gehen. Doch was bedeutet das für den deutschen Atomausstieg bezüglich Sicherheits- und Umweltbedenken? Haben jahrzehntelange Protestbewegungen und die Unglücke in Tschernobyl und Fukushima nicht zu Recht das Ende der Atomkraft eingeläutet?
Fusionsenergie - erstaunlich sicher und sauber
Die Antwort überrascht: Obwohl die Fusionsenergie rein physikalisch gesehen eigentlich eine Art der Kernenergie ist, wäre ein Fusionskraftwerk sowohl umwelt- wie auch sicherheitstechnisch komplett risikofrei. Wieso ist die Fusionsenergie sicher? Zwar setzt die Kernfusion weit größere Energien frei als die Kernspaltung, im Gegensatz dazu lässt sie sich aber besser kontrollieren. Während bei einem Atomkraftwerk eine gefährliche Kernschmelze stattfinden kann (zum Beispiel wenn die Kühlung ausfällt, so wie es in Tschernobyl 1986 der Fall war), würde bei einem Fusionskraftwerk der Ausfall der Systeme lediglich dazu führen, dass sich das Kraftwerk abschaltet. Das hat mit den schon erwähnten Temperaturen zu tun, unter denen die Fusion stattfindet. Sollten zum Beispiel die Magnete ausfallen, die das Plasma, den Fusionsbrennstoff, in der Schwebe halten, würde das Gemisch beim Kontakt mit festem Material im Bruchteil einer Sekunde abkühlen und die Reaktion wäre beendet.
Aber selbst wenn die Unfallgefahr so gering ist, was ist mit dem radioaktiven Atommüll? Überraschenderweise gibt es diesen bei der Fusion nicht: Es fällt lediglich harmloses Helium an, ein Edelgas, welches durch seine lustige stimmerhöhende Wirkung bekannt ist. Zudem benötigt man keine seltenen Rohstoffe: Während die klassische Atomkraft große Mengen an abgebautem Uranium benötigt, schluckt die Fusionskraft einen leichter verfügbaren Treibstoff, nämlich schweren Wasserstoff. Dieser kommt auf natürliche Weise in Wasser vor. Außerdem ist der Prozess, wenn er einmal läuft, komplett klimaneutral. Er könnte sogar den Klimawandel aufhalten, wenn er billige Energie liefert und damit fossile Rohstoffe überflüssig macht.
Fazit: Zu schön, um wahr zu sein?
Die Fusionsenergie klingt nach einem wahren Wunder der Technik. Sie verspricht durch innovative Technologie eine Lösung einiger der größten Probleme der Menschheit: Rohstoffknappheit und Klimawandel. Doch hier ist auch Vorsicht angebracht. Mit denselben Versprechungen wurde vor 60 Jahren die Atomkraft angepriesen und erst mit dem Wandel der Zeit wurde das Ausmaß ihrer Probleme klar. Zwar scheint die Fusionskraft in vielerlei Hinsicht besser abzuschneiden, doch noch funktioniert sie nicht und man sollte immer im Hinterkopf behalten, dass ein jedes wissenschaftliches Experiment unerwartete Risiken mit sich bringen oder schlichtweg scheitern kann. Dennoch, ein Erfolg würde sich immens auszahlen.
Zum Schluss sind die Worte des deutschen Klimaforschers Hans Joachim Schellnhuber eine Erwähnung wert. Er mahnt, dass die Menschheit seit Jahrzehnten ohne Erfolg an einem teuren Fusionsreaktor arbeitet, während es schon längst einen gibt, der funktioniert: Die Sonne. Sie liefert seit Milliarden von Jahren kostenlose Fusionsenergie in Form von Licht und Wärme. Vielleicht würde es also mehr Sinn machen, sich darauf zu konzentrieren und schon existierende regenerative Energiequellen wie Wind-, Wasser- und Solarkraft weiter auszubauen, anstatt der “Energie der Zukunft” nachzujagen. Denn aufgrund von jahrzehntelangen Rückschlägen in der Forschung geht unter Fachleuten schon der Witz um, dass die Fusionsenergie zwar die Energie der Zukunft ist, dies aber auch immer bleiben wird.