Wenn es um beeindruckende Projekte in der Geschichte unserer Menschheit geht, kommt vielen sicherlich erst einmal CERN in den Sinn. Doch in Japan gibt es ein Observatorium, welches ebenso eindrücklich ist: Das Super-Kamiokande, kurz auch Super-K genannt. Doch was ist Super-K? Welche Forschung wird dort betrieben? Erfahren Sie nachfolgend alles rund um Japans surreal aussehendes Observatorium.
Super-Kamiokande, ein klangvoller Name. Dieser steht ausgeschrieben für Super-Kamioka Neutrino Detection Experiment, also ein Experiment, um Neutrinos zu entdecken. Neutrinos sind kleine subatomare Partikel, welche sich überall in unserem Universum befinden. Diese können sich durch alles hindurch bewegen, selbst feste Materie. So hatte beispielsweise der berühmte Astrophysiker Neil deGrasse Tyson in einer Dokumentation der Reihe Cosmos von National Geographics gesagt, dass Neutrinos selbst ein Stück Stahl, welches sich über 100 Lichtjahre erstrecken würde, mit konstanter Geschwindigkeit durchdringen könnten, als wäre es Luft. Außerdem sind Neutrinos elektrisch neutral, von ihrer Masse her extrem leicht und haben eine schwache Wechselwirkung. Während dies sehr eindrückliche Eigenschaften von Neutrinos sind, macht es das Studieren dieser winzigen Elementarteilchen äußerst schwierig, und dass obwohl diese in sehr hoher Anzahl in unserem Universum vorkommen. So wird beispielsweise geschätzt, dass sich auf unserer Erde durch eine 1cm² große Fläche ungefähr 70 Milliarden solare Neutrinos pro Sekunde hindurch bewegen. Doch wenn wir mehr über Neutrinos wissen würden, könnte dies äußerst aufschlussreich sein: So könnte mehr Wissen über Neutrinos dazu beitragen, dass wir ein besseres Verständnis dafür erlangen, wie sich Materie und Antimaterie zueinander verhalten, was wiederum zu neuen Rückschlüssen hinsichtlich der Entstehung unseres Universums führen könnte.
Ein Tank mit Wasser befüllt, welches so rein ist, dass es Haut zersetzt
Aufgrund der Schwierigkeiten, Neutrinos zu beobachten und Daten über diese zu sammeln, wurde in Japan unter einem Berg, dem Mount Ikeno, der 1000 Meter tiefe Wasser-Cherenkov-Detektor gebaut. Der tief im Berg befindliche Stahlzylinder des Super-K, welcher aus geschweißtem Edelstahl besteht, ist 41.4 Meter hoch und hat einen Durchmesser von 39.3 Meter. Wenn man es sich bildlich vorstellen möchte, wäre dies ein Gebäude mit ungefähr 14 Stockwerken. Der Detektor besteht aus einem riesigen Tank, welcher ein Fassungsvermögen von rund 50.000 Tonnen Wasser hat und dank der Lage tief im Berg von jeglichen störenden Strahlungen oder anderen Störungsfaktoren abgeschirmt ist. Der Tank ist nicht mit herkömmlichen Wasser befüllt, sondern mit ultra reinem Wasser, welches penibel sauber gehalten und regelmäßig UV-Strahlungen ausgesetzt wird. Die Reinheit des Wassers ist so extrem, dass es gewisse Materien auflösen kann - man sollte mit dem Wasser also nicht in Berührung kommen. So würde sich beispielsweise die Haut auflösen, wenn man seinen Finger ins Wasser hält. Wasser in seiner reinsten Form verhält sich wie Säuren und Basen, es ist also nicht in einem für uns ungefährlichen pH-Bereich, wie normalerweise der Fall mit Leitungs- und Trinkwasser. Ebenso berichtete ein Mitarbeiter des Super-K, wie bei Wartungsarbeiten, welche das Ablassen des Wassers bedurften, auf dem Boden des Tanks die Umrisse eines Schraubenschlüssels gefunden wurden. Der Schraubenschlüssel wurde wohl bei vorherigen Wartungsarbeiten vergessen und vom Wasser in nur wenigen Jahren vollständig zersetzt. Die Wände sowie Decken und Boden des Tanks sind mit goldenen Photoelektronenvervielfachern (auf engl. photomultiplier tubes, kurz: PMTs) ausgestattet. Diese können elektrische Signale, selbst von einzelnen Photonen, wahrnehmen und entsprechend verstärken. Insgesamt wurden 13.000 PMTs installiert. Sollte mal einer dieser Detektoren ersetzt werden müssen, wird zuerst das Wasser bis zur entsprechenden Höhe abgelassen, bevor einige Mitarbeiter mit einem Schlauchboot zur betroffenen Stelle gelangen können. Doch wozu sind diese speziellen PMTs und ultra reines Wasser überhaupt nötig?
Protonenzerfall sowie atmosphärische, solare und künstliche Neutrinos sollen erforscht werden
Wenn Neutrinos freigesetzt werden, wie beispielsweise vor dem Entstehen einer Supernova, d.h. wenn ein Stern am Ende seiner Lebenszeit in sich zusammenfällt, können diese in dem riesigen Tank dank ultra reinem Wasser und den speziellen goldenen PMTs gemessen werden. Dies kann man sich ungefähr so vorstellen, wie ein Flugzeug, welches mit Überschallgeschwindigkeit fliegt: Wenn dieses die Schallgeschwindigkeit erreicht und die Schallmauer durchbricht, wird eine Stoßwelle ausgesendet sowie ein Klang produziert. Ähnlich geht es Neutrinos, welche sich durch ultra reines Wasser bewegen: Sobald diese sich schneller als Licht bewegen (ja, Neutrinos bewegen sich im Wasser schneller als Licht in selbigem Medium), wird eine ähnliche Stoßwelle ausgesendet. Jedoch handelt es sich hier nicht um einen Klang, sondern ein bläuliches Licht, welches die PMTs messen können. Aber nicht nur Neutrinos von Supernovae oder der Sonne werden gemessen, sondern auch Neutrinos, welche von einem anderen Labor in Japan zum Super-K gesendet werden. Dieses Projekt wird T2K-Experiment genannt. So wollen die Wissenschaftler herausfinden, wie sich Neutrinos verhalten, wenn diese eine Vielzahl von unterschiedlicher Materie durchdringen müssen. Somit wird das Super-K dazu benutzt, Neutrinos aufzuspüren, um mehr über Protonenzerfall sowie atmosphärische, solare und künstliche Neutrinos zu lernen. Zu Erfolgen des Super-K gehören beispielsweise die Entdeckung der Neutrinoschwingungen in 1998, die solare Neutrinoschwingung in 2001 und der dritte Neutrinoschwingungsmodus in 2011.
Das Hyper-Kamiokande
Zukünftig soll es einen Nachfolger des Super-K geben: das Hyper-Kamiokande. Dieses soll ebenfalls in Japan gebaut werden und mit einer geplanten Tank-Höhe von 60 Metern und einem Durchmesser von 74 Metern ungefähr 10 mal größer als das Super-K sein. Der Tank des Hyper-K würde somit ein Fassungsvermögen von rund 260.000 Tonnen Wasser haben. Die Anzahl der Photonendetektoren soll von den derzeitigen 13.000 auf 40.000 ansteigen. Ebenso wurden die Sensoren weiterentwickelt und sind noch empfindlicher als die derzeit verwendeten Sensoren des Super-K. Somit können die Neutrinos mit noch größerer Sensibilität gemessen werden. Es wird geschätzt, dass das Hyper-K in einem Zeitraum von 10 Jahren Daten sammeln wird, wofür das derzeitige Super-K 100 Jahre benötigen würde. Vorgestellt wurde das Projekt erstmals in 2011. In 2026 sollen die ersten Experimente im bis dahin fertiggestellten Hyper-Kamiokande stattfinden.
Photo credits: Kamioka Observatory, ICRR (Institute for Cosmic Ray Research), The University of Tokyo