Kernkraftwerk Tihange: Super-GAU an der Grenze Deutschlands?

Bereits seit den 1950er Jahren wird Kernkraft zur Erzeugung von Strom in Deutschland sowie weltweit genutzt. Aufgrund zahlreicher Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte bezüglich der Gefahren von Kernenergie wurden seit 2002 30 der insgesamt 37 Kernkraftwerke in Deutschland abgeschaltet. Die übrigen sieben sollen bis Ende 2022 vom Netz genommen werden und Atomkraft in Deutschland damit vollends beenden. Doch nicht unweit der deutschen Grenze bei unseren belgischen Nachbarn ruht ein Kernkraftwerk, welches den deutschen Bürgern und Experten Sorgen bereitet: Das Kernkraftwerk Tihange. Was für ein Sicherheitsrisiko dieses AKW mit sich bringt und was ein GAU (Größter Anzunehmender Unfall) für Deutschland bedeuten würde, lesen Sie hier.

Kerkraftwerk

Kernkraftwerk Tihange

Das Atomkraftwerk Tihange befindet sich im belgischen Huy und ist damit nur 57 km von der deutschen Stadt Aachen sowie 50 km von der holländischen Grenze entfernt. Bereits seit einigen Jahren wird regelmäßig die Abschaltung des Reaktors gefordert, insbesondere aufgrund bekannt gewordenen schwerwiegenden Sicherheitsmängeln und der erwähnten Nähe zu mehreren Ländergrenzen. Nach Drängen der Stadt Aachen sowie als Reaktion auf die Massendemonstrationen für die Abschaltung des AKW werden schon seit Mitte August 2017 vorsorglich Jodtabletten an die Bevölkerung im Raum Aachen verteilt, um für eventuelle Reaktorunfällen und dessen Folgen vorzusorgen. Anfang diesen Jahres wurde eine Studie veröffentlicht, welche ergab, dass der Reaktor in Tihange in einem noch schlechteren Zustand sei als bisher angenommen. Zwischen 2013 und 2015 hätten sich gefährliche “Precursor-Fälle” (Vorboten) gehäuft und belaufen sich derweil auf acht Zwischenfälle, welche das Potenzial haben, sich zu schweren Reaktorschäden zu entwickeln oder sogar zum sogenannten Super-GAU der Kernschmelze  führen könnten. Der bekannteste Kernschmelzunfall ist die Tschernobyl-Katastrophe von 1986, welche laut Schätzungen der WHO insgesamt 4000 Todesopfer gefordert hat. Neben den Precursor-Vorfällen wurden außerdem signifikante Risse in den Reaktordruckbehältern des AKW Tihange gefunden, was als Sicherheitsrisiko gilt. Der Bericht bemängelt des weiteren die Zusammenarbeit der Länder Belgien, Deutschland und Niederlande bezüglich Katastrophenplänen und -übungen, welche nicht abgestimmt und ausgearbeitet seien.

Konsequenzen eines möglichen Reaktorunfalls

Die Konsequenzen eines Reaktorunfalls wären verheerend: Radioaktive Stoffe, die bei einem Unfall entstehen würden, sind extrem schädlich für Menschen, Wasser, Pflanzen sowie Nahrungsmittel. Insbesondere das aggressive radioaktive Jod kann bei Aufnahme durch den menschlichen Körper beispielsweise zu Schilddrüsen-Krebs führen, während das hochgefährliche Caesium bei Kontamination im menschlichen Organismus zu schweren Krankheiten, wie Leukämie, hervorrufen kann. Radioaktives Jod verfällt zumeist innerhalb von acht Tagen, Caesium allerdings kann jahrzehntelang im Boden gelagert werden und seine schädliche Wirkung entfalten.Um jedes AKW besteht eine 100 km große Sicherheitszone, in welcher bereits im Voraus Jodtabletten an die Bewohner der Zone verteilt werden. Auch die Stadt Aachen liegt in der Sicherheitszone des AKW Tihange, wo die Bewohner laut des Notfallplans der Bundesregierung so lange in der eigenen Wohnung bleiben müssen bis sich die mögliche radioaktive Wolke nicht mehr in gefährlicher Reichweite befindet. Je nach Größe des Unglücks können Tage, aber auch Wochen vergehen bis das der Fall ist. Das Einnehmen der Jodtabletten sorgt dafür, dass für einen gewissen Zeitraum die Schilddrüse bereits mit Jod gespeist ist, sodass sie kein radioaktives Jod mehr aufnehmen kann und dadurch Krebs in diesem Organ vorgebeugt wird. Bei einem Super-GAU wäre es von Notwendigkeit, dass auch Menschen im Radius von 200 km die Jodtabletten einnehmen, was auch die Großstädte Köln, Düsseldorf und Bonn betreffen würde.

AKW Tihange: Folgen für Deutschland

Mehrere Untersuchungen haben ergeben, dass die Folgen für Deutschland weit verheerender wären als für das belgische Küstengebiet, da der vermehrt herrschende Westwind die radioaktive Wolke Richtung Deutschland treiben würde. Das Wiener Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften (ISR) ließ verkünden, dass, im Falle eines GAUs, Aachen mit 30-prozentiger Wahrscheinlichkeit vollkommen evakuiert werden müsste und für lange Zeit unbewohnt bliebe. In der Region wurde bereits für den Ernstfall geprobt. Insgesamt würden von einer Reaktorkatastrophe diesen Ausmaßes ca. 25 Millionen Menschen an der belgisch-niederländisch-deutschen Grenze betroffen sein.

Die Sorgen von Bewohnern und Experten sind begründet und auch die möglichen Auswirkungen im Falle einer Katastrophe nicht übertrieben, angesichts der zu tausendfach gefundenen Risse im Druckbehälter der Reaktoren und der oft genannten “alarmierenden Wahrscheinlichkeit eines GAUs”. Das Atomkraftwerk von Tihange gilt als unkalkulierbares Risiko und wird trotz massiver Demonstrationen und Protesten wohl nicht vor 2023 abgeschaltet werden. Zu hoffen bleibt nur, dass diese Zeit verkürzt werden kann und auch bis dahin der Ernstfall nicht eintritt, denn in Sachen Kommunikation zwischen den Ländern scheint es Nachholbedarf zu geben, was in einem nicht vorhandenen abgeglichenen Katastrophenplan resultiert.